Die Brachial Romantische Haus Apotheke
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ESSKULTUR IM WANDEL DER ZEITEN
EINE BRACHIALROMANTISCHE BALLADESKE IN DREI SCHWADRONEN
UND EINEM EPILOG oder
DIE BESCHWERDE

1. SCHWADRON

Hermann Biedermeier war ein Gemütsmensch wie ein Pferd
und hatte sich noch nie beschwert.
Damals nicht, als der Panzer ohne Halt durchs Schlafzimmer fuhr,
damals nicht, da er als Versuchshase Knoblauch-Deo testen musste,
selbst damals nicht, als seine Frau zum Strapsfeldwebel degradiert wurde.
Nun aber war es genug!
NUN ABER WAR ES GENUG!
Zum ungezählten Male ließ sich das Butterbrotpapier nicht vom frischgekauften Gehackten lösen!
Er weichte mit Warmwasser, puzzelte zwei Stunden,
mit Nägeln, Zähnen, Messer und Pinzette – umsunst!
Mit cholerischer Gebärde verfasste er eine Beschwerde:

Es ist mir denkbar zuwider,
und ich rede auch nicht gerne drüber,
ich will auch ganz bestimmt nicht nerven,
doch muss man das mal sagen derfen:
Das Papier am Hackepeter
ist der reinste Nerventöter!

Und kurze Zeit drauf sieht man ihn mit dem Brief zum Briefschlitz ziehn.
Sein Fleischer antwortete: Bei mir wirds gefressen, wie’s aufn Ladentisch kommt.
Ansonsten kann ich nichts dafür,
wir nehmen alle solches Papier.

Hermann Biedermeier wandte sich aufgebracht an seinen Volksvertreter,
der sich für sein Volk mal eben die Füße vertrat:

Es ist mir denkbar zuwider, so und so, und von dem Papier
an dem Gehackten wird es mir
kotzübel und ich lieg darnieder ...
Und kurze Zeit drauf sieht man ihn mit dem Brief zum Briefschlitz ziehn.

Sein Volksvertreter trat von einem Bein aufs andere.
„Dem Volk verdanke ich meinen schönen Posten, dafür lege ich mich rund um den Zeiger in den Schützengraben des Alltags – dem Biedermanne kann geholfen werden!“
Er eilte zu Reimund Schendler, dem Deliktschnüffler, der sich mal eben zur Entspannung eine Patience aus seiner Verbrecherkartei legte, und bezichtigte den Fleischer wegen der Bemerkung ,Wir nehmen alle solches Papier‘ der Gleichmacherei und Majestätsbeleidigung.
Schendler roch Beförderung.
Er jagte auf seinem pawlowschen Hundeschlitten in die Fleischerei, wo er den Fleischer mit Handschellengeklingel hinter seinem Beil hervorlockte: „Folgen Sie mir unauffällig in die Katakombe!“

Klage-Sang über das Zusammentreffen ungereimter Ereignisse:
Fünfzig Kunden, die im Laden
In Reih und Glied beiseite traten
Hatten explizit den Schaden:
Sie bekamen nichts zum Braten
Und zum Kochen, selbst Karpaten-
salami faulte hin am Haken
Nebst Haxen, Schinken, Servelaten
In den Regalen die Rouladen
Fraßen allesamt die Maden
Sodann der ganze Schlächterladen
Versank in grauen Schimmelfladen
Dem Hermanne schien geholfen.
Der Volksvertreter ging zur Ordensausgabe und empfing eine Verdienstspange.
Währenddessen schaukelte Hermann Biedermeier stiftlutschend und unzufrieden auf seiner Hollywoodschaukel:

Es ist mir denkbar zuwider,
so und so, und von dem Papier
an dem Gehackten wird es mir
kotzübel und ich lieg darnieder.
Ich raff mich auf und führ Beschwerde,
dass bisschen was geändert werde,
und während ich in Krämpfen liege
und einfach keine Antwort kriege,
konstatier ich voller Groll,
keine Sau nimmt mich für voll!

Und kurze Zeit drauf sieht man ihn mit dem Brief vorm Briefschlitz knien.

Seine Eingabe flatterte auf das Schalterfenster der Übergeordneten Stelle.
Diese Übergeordnete Stelle, welche im Wettbewerb um eine längere Telefonnummer stand, stieg in der Akte „H Punkt Biedermeier“ beherzt auf die Starklötzer – und blieb dort sitzen.

Ende der ersten Schwadron.

2. SCHWADRON

Inzwischen hatte die Fleischergewerkschaft Niere-Haxe-Pansen das auf dem Schlachthof verbuddelte große blutige Kriegsbeil ausgegraben. Der Obergewerker opferte der Gerechtigkeit ein Spanferkel und erklomm den Hackklotz.

Gong.
„Fleischhauer und Fleischwölfe!
Die Vereinsleberwurst ist beleidigt!
Die Fettaugen in der gesellschaftlichen Wurstsuppe scheinen blind geworden zu sein!
(erregtes Stühleknarren)
Die Übergeordnete Stelle hat offenkundig Speck angesetzt!
Da muss gründlich geräuchert werden, sonst pappt einem ja das Geschabte an!
(empörtes Gebrabbel)
Solch eine Salamität können wir nicht unter dem Ladentisch liegen lassen!
Ich rufe euch zu: Kassler!
(langanhaltender Beifall)
Die Ochsen haben ihre Schwänze in eine Suppe gehängt, die ihnen am Ende die Eisbeine auftauen wird!
(Er schwang eine Blutwurst.)
Rache! Sülzköpfe vorwärts! Nuff-nuff-nuff-nuff!“

Während seiner Rede kräuselte sich die Seuchenmatte.
Die Fleischer marschierten mit ihren Lammkeulen vor der Relativhohen Stelle auf und verliehen ihrer Forderung nach sofortiger Freilassung des von Schendler eingebuchteten Kollegen unflätigen Ausdruck.
Im Angesicht des drohenden Kriegsbeiles ergriff die Relativhohe Stelle furchtsame Maßnahmen:
Sofort wurde die Übergeordnete Stelle abgesetzt –
das heißt, sie erkrankte plötzlich und erhielt einen besser bezahlten Schonplatz (mit nur dreistelliger Rufnummer).
Den freigekämpften Fleischer begrüßten die Seinigen mit Hochrufen und einem dreifachen „Freibank“!
Dafür empfing die Relativhohe Stelle an der Ordensausgabe das „Silberne Stempelkissen“.
Die Fleischergewerkschaft Niere-Haxe-Pansen bekam zur Beschwichtigung einen Posten Importeinwickelfolie – versprochen.
Während ihres Schonaufenthaltes hatte die bestrafte Übergeordenete Stelle viel Zeit, über sich nachzudenken – was nicht immer gut sein muss.
Sie entwarf eine Leidensgeschichte ihres Dilemmas und schickte sie – als Lobhudehle getarnt – nach Ganzoben:

Demokratie ist das Sonntagskleid der Freiheit.
Aber alle Tage ist kein Sonntag,
deshalb haben wir Dienstag Sprechtag.
Der Dienst am Dienstag ist uns Pflicht und Lust –
doch nun zu unserm Frust:
Wir haben uns immer ruhig verhalten,
haben Tatendrang als eine höhere Berufung angesehen und uns ihrer für nicht würdig befunden.
Warum also musste man uns befördern?
Können Sie uns das bitte mal erörtern?

P.S. Wir wollen, verstehen Sie uns richtig,
Demokratie nicht als so nichtig
erachten, als dass man sie um schnelllebiger Veränderung willen belästige.
Wir wollen schon, dass sie sich festige,
denn man erfährt
ihren Wert
erst dann,
wenn man
sich ab und an
beschweren kann.
Mit so ... istischem Gruß
und geradem Scheitel etc. etc.“

Ende der zweiten Schwadron.

3. SCHWADRON

Ein Beauftragter von Ganzoben, mit abknöpfbaren Scheuklappen, in einem uneinnehmbaren Auto, wurde daraufhin generalbevollmächtigt und begann an der Basis seine ordnende Wühltätigkeit:
Der Gewerkschaft Niere-Haxe-Pansen wurde das Kriegsbeil entzogen.
Die Fleischer wurden zu Bäckern zwangsumgeschult.
Der Relativhohen Stelle wurde das „Silberne Stempelkissen“ aberkannt.
Ihre führenden Kader wurden zu Ameisen umgefeilt.

„Manchmal genügt es nicht, jemanden wegen eines Vorkommnisses einfach nur zu rügen.
Es genügt erst recht nicht, das Übel mit der Wurzel auszureißen, sondern die wahre Regierkunst entpuppt sich in der Fähigkeit, die dadurch entstandenen Löcher zu vertuschen!“
In logischer Folge dieser Überlegung wurde das gesamte Land von den Landkarten verschwunden.

Mit der Umrüstung der Fleischerhaken zu Kuchenblechen kroch über Nacht die nationale Minderheit der Brachialvegetarier aus dem Salat.

Jubel-Sang über die Wechselwirkung zwischen schlechterem Geschmack und den besseren Argumännchen

Wir sagten immer schon: Esst Pflanzen!
Das ist gesünder als Haxen und Pansen
Kommt in unsere Reihen tanzen
Wir haben mannigfach freie Vakanzen
Wir müssen uns vom Tier emanzen
Nicht ewig mit dem Fleischtopf pranzen
Sonst werden alsbald auf der ganzen
Welt die Überlebenschancen
Knapp – ihr Kannibalenschranzen
Brecht die Vegetarierlanzen!

Vereinzelter Widerstand der fleischfressenden Bevölkerung wurde mit Rhabarberstengeln niedergeknüppelt. Nach einem aufsehenheischenden Gewaltmarsch der Brachialvegetarier zur Hauptstadt wurde die Salatrevolution ausgerufen.

Mit seinem Chlorofüller verfasste der Spitzenvegetarier ein Sekret, in dem er schlüssig nachwies, dass der Abschaffung der Schlächter die Abschaffung der zu Schlachtenden folgen müsse – ergo die Eliminierung der Tierwelt. Die Ordensausgabe hatte rund um die Uhr geöffnet.

Hermann Biedermeier lag im Bett
und kaute verdrossen Azaleenstiele.
Die großen gesellschaftlichen Umwälzungen
hatten zu Klärung seines Problems wenig beigetragen.
Und wieder einmal sieht man ihn
mit einem Brief zum Briefschlitz ziehn:

Liebe UNO!
Es ist mir denkbar zuwider,
kotzübel, und ich lieg darnieder.
Schon mehrfach führte ich Beschwerde,
dass bisschen was geändert werde.
Doch nicht nur, dass man sich geschickt
bis heut um eine Antwort drückt,
die Lage wird unmöglich schier,
erst hing das Fleisch am Packpapier,
jetzt fress’ ich das Papier schon pur —
es ist die reinste Pferdekur!

In den nächsten Tagen und daraufhin zündete die UNO zwei Resolunten.
Eine AN ALLE Vierfüßer und Eierleger, in der diese moralischen Beistands und herzlichen Beileids versichert wurden. Die andere enthielt den reformierten Speiseplan zur bevorstehenden UNO-Vollversammlung:

Vorgang: Kürbiscremesuppe in Weinessig
Hauptgang: Panierte Runkeln in Gummibaummilch mit Lindenblütenmus
Nachgang: Sauerampfer mit Süßholzraspeln
Stuhlgang ...

EPILOG

Hermann Biedermeier bittet seinen umgeschulten Fleischer um Verzeihung:

Mit Magenkrämpfen sitz ich hier,
kau Azaleen und Packpapier,
ich wollte einst mit der Beschwerde,
dass bisschen was geändert werde;
nun denk mit sehnsuchtsvollem Blick
ich an die schöne Zeit zurück,
als das Papier noch wunderbar
mit Hackefleisch garnieret war.

Beckert/Wolff 12/1986

veröff. auf Podeststücke (2006)

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